Lebensentwürfe

Bei Diskussionen über neue Baugebiete wird im zuständigen Ausschuss der Stadt Mechernich von Seiten des Bürgermeisters und der CDU-Fraktion mit gewohnter Regelmäßigkeit das Argument angeführt, das Einfamilienhaus sei früher möglich gewesen, daher könne man dies heute niemanden verwehren. In diesem Argument stecken zwei entscheidende Denkfehler.

Erstens: Die Bautätigkeit von früher war auch früher nicht möglich. Nicht für jede/n und nicht auf Dauer. Es ist nur noch nicht so aufgefallen, weil die Dörfer, Straßen, Autos, eigentlich alles noch kleiner war und das unabwendbare Ende der Belastbarkeit weit weg. Wir haben alle weniger besessen, weniger konsumiert, weniger Platz ge- und verbraucht. Möglich im Sinne von nachhaltig, also dauerhaft und für jeden möglich, war es dennoch nie. Wenn man nun feststellt, dass manche Orte quasi nur noch ein einziges Feld trennt, dann wird die Endlichkeit von Landschaft und Fläche bewusst. Es ist richtig, dass wir in Mechernich besser dastehen, als so manche strukturschwache Kommunen mit Nettobevölkerungsverlust. Allein, wir haben dies teuer erkauft und dieser Weg wird sich in dieser Form nicht fortsetzen lassen, denn Fläche ist endlich.

Zweitens: Alternative Angebote sind nicht das Ende des Einfamilienhauses, sondern eine sinnvolle Ergänzung, denn unterschiedlichen Wohnformen schließen Lücken für Jüngere und Ältere. Das Einfamilienhaus ist vielleicht nach dem Auszug der Kinder zu groß und damit auch zur Last geworden, aber eine Betreuungseinrichtung wird eigentlich gar nicht benötigt. Eine Reduzierung von Wohnfläche und ein schön begrünter Balkon statt eines großen, aufwendigen Gartens kann dann für jene, die dies wollen, eine Verbesserung an Lebensqualität und Selbständigkeit sein.

Ebenso gibt es für junge Menschen ein Leben vor dem Einfamilienhaus. Familien werden heutzutage später gegründet als noch vor fünfzig Jahren. Nicht selten liegen bis dahin zehn, fünfzehn Jahre Berufstätigkeit. Erste Wohnungen nach dem Auszug aus dem Elternhaus und Angebote für Singles und Paare, die aus ganz eigenen Gründen kein Einfamilienhaus möchten, gibt es im Stadtgebiet aber kaum. Sind beide Partner voll berufstätig, was im Gegensatz zu früher heute die Regel darstellt, bleibt neben der Familien- und Beziehungszeit unter der Woche kaum Raum, sich noch um einen Garten zu kümmern. Die Beliebtheit von Schottergärten und schlichten Rasenflächen in den Neubaugebieten verwundert dann nicht mehr.

Vieles, was wir früher konsumierten, wie wir handelten, was wir benutzten, ist heute nicht nur obsolet, sondern es besteht ein allgemeines Wissen darüber, was falsch ist. Bei Schlaflosigkeit in der Schwangerschaft nimmt keine mehr Contergan. Kindermöbel werden nicht mehr fröhlich mit Formaldehyd bestrichen und man reicht den Kleinen möglichst Spielzeug ohne Weichmacher. Asbestplatten finden sich in keinem Neubau mehr und selbst an den Supermarktkassen sind Plastiktüten verpönt. Ein Blick in die Vergangenheit hat durchaus sein Gutes, wenn man gewillt ist, daraus zu lernen. Bleibt man aber in alten Gewohnheiten und Denkweisen stehen, dann erhält man die Praxis, die Mechernich gerne ausführt.

Bei den Bauvorhaben im Stadtgebiet ist der kürzlich beschlossene Maßnahmenpool für klimaverträglichere Baugebiete, so denn umfangreich davon Gebrauch gemacht werden wird, ein Schritt in die richtige Richtung. Zusätzlich brauchen wir aber auch ein Umdenken bei der Zusammensetzung unterschiedlicher Wohnformen. Manch ein Lokalpolitiker mag sich dies aus familienpolitisch-ideologischen Gründen oder schlicht aus einem Mangel an Erfahrung mit unterschiedlichen Lebensentwürfen nicht vorstellen können, aber: Menschen sind unterschiedlich, Menschen wollen unterschiedlich leben und mit Lebensphasen verändern sich Bedürfnisse. Werden wir dem gerecht.

 

Nathalie Konias und Jan-Christoph Buchholz

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